Zürich E-Prix, 10.06.2018
Grosse Vorfreude, grosser Aufwand, grosse Enttäuschung.
Öffentliche Rundstreckenrennen mit Motorfahrzeugen sind in der Schweiz seit 60 Jahren gesetzlich verboten. Nach einem Unfall mit über 80 Toten bei einem 24-Stunden-Rennen in Le Mans im Jahr 1955 zeigten sich vor allem die Schweizer Landeskirchen empört. Autorennen seien "mörderische Massenschauspiele, die unsere Strassen zu blutigen Rennbahnen werden lassen". Die Politik folgte dieser Argumentation und erliess das weltweit einmalige Verbot im Jahr 1958.
Die Sicherheitsmassnahmen für Fahrer und Zuschauer im heutigen Rennsport sind nicht einmal ansatzweise mit den damaligen Verhältnissen vergleichbar. Dennoch zeigt sich die Politik in der Schweiz unwillig, das längst nicht mehr zeitgemässe Verbot aus dem Gesetz zu streichen. Immerhin kann der Bundesrat Ausnahmebewilligungen erteilen. Auf einer solchen Bewilligung basierte das heutige Formel E Rennen in Zürich.
Die Formel E Meisterschaft gibt es erst seit 2014. Das Besondere an dieser jungen Rennserie ist, dass die Fahrer in rein elektrisch angetriebenen Fahrzeugen um den Titel kämpfen. Die Rennen finden nicht auf Rennstrecken statt, es werden stattdessen Städte zu Rennstrecken umfunktioniert. Mit einem grossen Rahmenprogramm soll den Besuchern die zukunftsweisende Technologie vorgestellt und nähergebracht werden. Die Formel E will Technologieträger und Botschafter für Elektromobilität sein. Volksnaher, moderner und umweltfreundlicher Rennsport ohne fossilen Treibstoff, ohne Abgase und (fast) ohne Lärm, mitten in der Stadt. Soweit die Theorie.
Für mich war es eine grosse Freude, dass die Formel E nach Zürich kommt. Ich bin Technikfan, begeisterter Auto- und Motorradfahrer, betreibe selbst ab und zu Motorsport und verfolge die Entwicklung von elektrischen Fahrzeugen seit langem mit grossem Interesse. Zudem sah ich den Zürich E-Prix als Chance, dass das Rundstreckenverbot endlich aus dem Gesetz gestrichen werden könnte. Ich wollte, dass der Event ein Erfolg wird.
Im Vorfeld hörte man kritische Stimmen von verärgerten Anwohnern. Um eine FIA-Rennstrecke in eine Stadt zu bauen, müssen logischerweise einige bauliche Veränderungen erfolgen. Zum Schutz der Fahrer und Zuschauer wurden unzählige Aufprallvorrichtungen, Betonelemente und Zäune installiert. Verkehrsinseln- und Schilder wurden demontiert. Strassen wurden gesperrt und neu asphaltiert. Hunderte von Lastwagenfahrten waren nötig, das Material in die Stadt zu transportieren. Die Anwohner beklagten sich über Lärm und Zugangsbeschränkungen, das lokale Gewerbe über Umsatzeinbussen, die Strassenbenutzer über Umleitungen, zusätzliche Verkehrsengpässe und Staus.
Als ich gestern mit dem Auto in die Stadt fuhr, konnte ich den Unmut nachvollziehen. Der Verkehr floss deutlich zäher als sonst, Umleitungen waren schlecht beschildert und die Fahrt ans Ziel ging doppelt so lange wie üblich. Auch die Inspektion der Rennstrecke war eher eine Enttäuschung. Im Vorfeld wurde angekündigt, zahlreiche Stehplätze stünden gratis zur Verfügung. Für nicht zahlende Besucher boten sich jedoch nur wenige (legale und ungefährliche) Möglichkeiten, das Renngeschehen zu verfolgen und einigermassen sinnvoll zu fotografieren. Auf der offiziellen Webseite des Zürich E-Prix standen zudem rechtlich höchst bedenkliche Behauptungen zur Zulässigkeit von Aufnahmen des Renngeschehens und zu den Persönlichkeitsrechten der Besucher.
Auch am heutigen Renntag lief ich von einer Enttäuschung zur nächsten. Auf dem Weg zur Rennstrecke nahm mir die Security meine Wasserflasche weg. Offenbar will der Veranstalter, dass ich das überteuerte Wasser an den offiziellen Verpflegungsständen kaufe. Den e-tron Vision GT am Audi-Stand fotografieren? Zutritt nur für geladene Gäste. Wollte man auf die andere Seite der Rennstrecke gelangen, musste man um diese herumlaufen. Es waren zwar mehrere Brücken vorhanden, Zutritt hatten aber nur VIP-Gäste. Auf der Suche nach geeigneten Winkeln zum Fotografieren wurde ich unzählige Male von Sicherheitsmitarbeitern darauf hingewiesen, dass man hier nicht weiter dürfe. Beschildert waren diese Sackgassen selten bis nie.
Nachdem ich die ganze Strecke abgelaufen war und eine halbwegs brauchbare Stelle ohne Gitter gefunden hatte, machte ich einige Aufnahmen des Qualifyings. Der Winkel war jedoch nicht besonders interessant und viel vom Geschehen bekam man auch nicht mit. Rennsportatmosphäre kam keine auf. Erst wollte ich die drei Stunden bis zum Rennen nutzen, um nochmals einen besseren Platz zum Fotografieren zu suchen. Bewegen konnte man sich auf dem Gelände aber nur noch schlecht. Am Nachmittag war die einzige Brücke, welche für alle Besucher zugängig war, völlig überfüllt. Von einer Stelle zur nächsten zu kommen, ohne zu wissen ob sich dazwischen eine weitere Sackgasse befindet, dauerte schlichtweg zu lange. Ich resignierte und entschied mich, das Rennen zu Hause auf dem Laptop zu schauen.
Der Zürich E-Prix, ein umweltfreundlicher, volksnaher und kostenloser Spass für Jung und Alt? Meine Erfahrung war eine andere. Wer kein Ticket hatte, bekam wenig geboten (die Tickets waren zudem schon lange ausverkauft). Der Rennbetrieb selbst mag zwar verhältnismässig umweltfreundlich sein, ich würde den gesamten Aufwand, eine Rennstrecke in Zürich auf- und abzubauen, allerdings mitnichten als umweltfreundlich bezeichnen. Aus meiner Sicht war die Veranstaltung eine Werbeplattform für ein paar wenige Konzerne und Firmen auf Kosten der gesamten Bevölkerung der Stadt Zürich.
Das Rundstreckenverbot in der Schweiz abschaffen? Ja, bitte! Noch einmal Formel E in Zürich? Nein, danke!